Manches Mal kommt alles so anders...

Bereits in der letzten Woche wollte ich einen neuen Blog online stellen. Ich wollte Euch erzählen aus meinem Alltag, von meiner Arbeit als Freie Rednerin, meinen Aufgaben, Pflichten und wundervollen Momenten als Ehefrau, Mutter und Freundin. Ich wollte Euch davon berichten, mit wie viel Leidenschaft ich durch mein Leben streife und wie glücklich ich bin mit dem, was ich bin und dem, was ich lebe und liebe. Doch dann verändert ein kurzer Augenblick alles…

Ich erhalte einen Anruf am Montagvormittag. Auf der anderen Seite der Leitung hat ein junger Mann, den ich nur flüchtig kenne, kaum die Möglichkeit auch nur ein einziges Wort herauszubekommen, so sehr ist sein Herz mit Trauer gefüllt.

Vor vier Wochen lerne ich diesen Menschen kennen. Er ist 35 Jahre jung, ein lebenslustiger junger Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht. Ich begegne ihm während der Trauerfeier für seine über alles geliebte Mutter im Friedwald, die ich als Freie Rednerin begleiten darf. Hier nun soll seine Mama ihre letzte Ruhe finden, nachdem sie einen langen Leidensweg aufgrund einer Krebserkrankung hinter sich hat.

Der Vater dieses jungen Mannes erzählte mir in einem langen sehr persönlichen Gespräch einige Tage zuvor von dem Leben seiner Frau, eine Frau, die eine ganz besondere war. Eine Frau, die mit aller Lebensliebe und allem Lebenswillen jeden möglichen Moment im Kreise ihrer über alles geliebten Familie verbrachte, eine Frau, die die ein oder andere große Hürde im Leben hat meistern müssen und sich mit Voranschreiten des Alters sich mehr und mehr der Spiritualität hingab. „Sie war so ein spiritueller Mensch, dass sie nicht wollen würde, dass an ihrem Grab jemand über Sie spricht, der nicht offen ist für allen Glauben in dieser Welt, sei dieser nun konfessionell geprägt, spirituell oder ganz und gar weltlich“, so der Witwer. Ich solle es sein, die mit langjähriger Erfahrung, mit offenem Geist, mit Witz und Charme und vor allem mit gnadenloser Ehrlichkeit über dieses gelebte Leben sprechen solle. So bat er mich an diesem gemeinsamen Abend, den ich in seinem Haus verbringen durfte. Das ehrte mich. Dieser Mann fasste unglaubliches Vertrauen in mich und konnte sein schweres Herz während wir in seinem Zuhause lange miteinander sprachen, sehr erleichtern, so berichtete er mir einige Tage später am Telefon. Wir wollten beide kaum, dass unser Zusammentreffen endet. Es war für ihn ein Segen, jemanden bei sich zu haben, der sich seiner Gefühle und Gedanken annimmt und ihm zuhört und mir tat es mehr als gut, einem lieben Menschen mein Ohr zum Zuhören und meine Schulter zum Anlehnen zu bieten. Das ist mein Beruf, doch mehr auch das, was ich für mich selbst brauche.

Auf unser Treffen folgte das ein oder andere Telefonat, das von dem Witwer dafür genutzt wurde, seine Leere, die er spürte seit dem Tod seiner Frau, ein klein wenig mit einer Unterhaltung zu füllen, wozu ich gern bereit war.
Gemeinsam mit dem Bestatter planten wir den Abschied von seiner geliebten Frau in einem Friedwald in dem Ort, wo sie einst geboren wurde, ein Friedwald dort, wo dieses zauberhafte Paar sich vor vielen Jahren das Ja Wort gab.
Und dann war er da, der Tag des Abschiedes. Es war ein Moment, den alle Anwesenden, mich eingeschlossen, dafür nutzen, den Glauben, die Werte und Überzeugungen und das Sein der anderen noch einmal mehr zu akzeptieren und gemeinsam versuchten wir in dem bestehenden emotionalen Chaos die Ruhe wieder zu finden, was uns in einer wundervollen Zeremonie zum großen Teil auch tatsächlich gelang.

Einige Tage später versendete ich einen Brief. In diesem großen Umschlag befanden sich zum einen meine gesprochenen Worte in Schriftform. Er würde diese so gern noch einmal lesen, sagte mir der Witwer nach der Abschiedszeremonie. Dann legte ich noch eine kleine Baumscheibe mit in den Brief zur Erinnerung an den Tag des Abschiedes im Wald und mein L(I)EBE Herz. Ein mit Kirschkernen gefülltes kleines Kissen in Herzform, das man, wenn der Moment mal wieder so schwer wiegt, sich erwärmt an das Herz drücken kann.

„Er hat sich so sehr über Ihren Brief gefreut“, so nun der Sohn am Telefon am vergangenen Montag. „Das Herz, er trug es bei sich, es wärmte ihm sein Herz. Mein Papa, er hatte einen Herzinfarkt“, sagte mir der Sohn mit zitternder Stimme am Telefon. Er erlitt nur zwei Wochen nach der Beisetzung seiner Frau als gesunder Mensch einen Herzinfarkt und infolgedessen mehrere Schlaganfälle, die ihm das Weiterleben unmöglich machten. „Er ist verstorben, er ist fort, er ist einfach nicht mehr da.“

Ich konnte es nicht fassen, kann es auch jetzt noch nicht. Gerad habe ich ihm doch noch einen Brief geschickt, den er mit Freuden las, an dessen Inhalt er sich erfreute. Seine Stimme, sie befindet sich noch immer in Form von in Worte formulierte Dankbarkeit für meine Arbeit auf meinem Anrufbeantworter. Ich kann es noch immer nicht glauben, nicht fassen, nicht greifen. Was ist da eigentlich gerade passiert?

Und so plötzlich steht auch meine Welt für einen Moment still und es ist alles so anders, ganz anders als es eben noch war. Ich beginne zu weinen, um den Menschen, den ich nur ein klein wenig kannte, den ich dennoch sehr mochte, der mir doch gerade erst so viel Vertrauen schenkte. Ich weine um den Menschen, der doch eben noch da war und nun ist er es nicht mehr. Ich weine um den Schmerz, den all das hier, was passiert ist, im Herzen des Sohnes hinterlässt, der nun in nur wenigen Wochen beide Elternteile verloren hat – mit 35 Jahren. Ich weine um das Leben, das so schnell vergeht und manches Mal ohne dass man damit rechnet.

Doch, ist es womöglich Schicksal, frage ich mich und denke lange darüber nach. Ist es Schicksal, dass der verwitwete Ehemann, nachdem er sich aufopferungsvoll um seine schwer kranke Frau kümmerte, der mir in unserem Gespräch sagte, dass er nun kaum mehr Substanz in seinem Leben spürt, dass dieser Mann nur wenige Wochen nach seiner Frau den Tod findet – als selbst gesunder Mensch? Ja, ich glaube daran, ich möchte daran glauben – das Schicksal hat entschieden.

Nun sind sie womöglich wieder vereint; dieser so liebenswerte Mann und seine so spirituelle Frau. Vielleicht sind sie wieder vereint, vielleicht sind sie es auch nicht, keiner von uns weiß es. Doch daran zu glauben, es mir einfach vorzustellen, empfinde ich als wunderschön. Diese Vorstellung, sie tröstet mich, sie nimmt mir meinen Schmerz und meine Trauer, die ich empfinde, weil ich einen Menschen, den ich in kürzester Zeit in mein Herz geschlossen habe, so rasch wieder verliere. Doch nur im Leben. In meiner Erinnerung wird er weiter seinen Platz haben.

Danke für so viel Vertrauen!

Sabrina