Ein ganzes Jahrhundert Leben...

Eine Frau, deren Geburtsjahr das Jahr 1923 ist. Unfassbar! Solch eine unglaublich lange Zeit. Beinahe 100 Jahre Leben hat diese starke Frau nun hinter sich gebracht. Was hat sie alles erlebt; erleben DÜRFEN und ebenso erleben MÜSSEN?

Ich sitze ihren Angehörigen nun gegenüber und sie erzählen mir voller Liebe in ihren Augen und Herzen von einem Menschen, einer Frau, die durch ihr langes Leben in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich stark geprägt wurde.

Sie ist ein Kind der Weimarer Republik, ist beinahe Teenager als der Reichstag brennt, beinahe erwachsen, als der zweite Weltkrieg beginnt und sie die Angst ihrer Brüder in deren Augen wahrnimmt, als diese sich aufmachen um in den Krieg zu ziehen – ohne zu wissen ob sie sich jemals wiedersehen werden. Sie ist eine erwachsene Frau als sie mit ihren schmalen Händen das zertrümmerte Deutschland wieder aufbaut.

Diese Frau kennt den Alltag ohne Fernsehen, Computer oder Telefon, sie kennt den Alltag ohne Kugelschreiber, Antibiotika und Papiertaschentücher. Das Leben ohne Internet – Leute, ist das für uns überhaupt denkbar? Diese Frau, sie kennt diese unsere Welt in einem so ganz anderen Zustand.

Sie erlebt, wie die Mauer erbaut wird, die unser Land teilt und sie verfolgt im Fernsehen, wie diese wieder eingerissen wird. Als Deutschland vor nun bereits mehr als 30 Jahren die Wiedervereinigung feiert, ist diese Frau bereits im mehr als verdienten Ruhestand.

Und nun, drei Jahrzehnte und so viele weitere Erlebnisse und Lebensereignisse später, muss diese Frau wieder einmal miterleben, wie junge Männer in einem europäischen Land in den Krieg ziehen. Und ich bin es, die nun erfahren darf, welch ein Mensch sie war – ein ganzes langes Leben. Ich darf erfahren, wie sie lebte, welche Werte sie durch ihr Leben getragen haben, was sie glücklich werden ließ und was ihr Sorge bereitete.

Es bedarf unseren allergrößten Respekt vor den Menschen, die ihr Leben in dieser Zeit, in diesem Jahrhundert führten und niemals aufgaben, weder sich selbst, nicht ihr Leben und auch nicht ihre Lieben, ganz egal, was um sie herum geschah.

Nach allem Durchlebten der vergangenen zehn Jahrzehnte und der steten absoluten Gewissheit, dass die Blüte des Lebens immer weiter dahinwelkt, trotzdem jeden Tag aufs Neue wieder ausreichend Mut und Kraft aufzubringen, um weiter zu machen, 100 Jahre lang, davor verneige ich mich zutiefst.

Denn eines weiß ich sicher, das sagte Joachim Fuchsberger einst; Älterwerden ist nichts für Feiglinge.

Also seid mutig und lebt so viel Ihr könnt und habt lieb so viel Ihr könnt.

Ich umarme Euch, Eure Sabrina